Münsterland ist Sagenland - aber warum eigentlich?

Cover von Katja Angenent: Von Geistern, Gespenstern und Gruselgestalten. Düstere Sagen und Legenden aus dem Münsterland. Agenda Verlag Münster 2022, 14,90 €
Katja Angenent: Von Geistern, Gespenstern und Gruselgestalten. Düstere Sagen und Legenden aus dem Münsterland. Agenda Verlag Münster 2022, 14,90 €

Für ihr Buch Von Geistern, Gespenstern und Gruselgestalten hat Katja viele Sagensammlungen gelesen - und ist auf eine Gemeinsamkeit bei den Überlieferungen gestoßen: Fast alle Autorinnen und Autoren betonen, dass sich das Sagengut im Münsterland, anders als in anderen Regionen, recht lange unverändert gehalten hat. Über die Gründe, warum gerade dieser Landstrich eine Hochburg der Überlieferungen ist, kann man indes nur spekulieren. Einige sehen die Natur des gemeinen Münsterländers als die schuldige. Henßen zum Beispiel bescheinigt der Bevölkerung im Münsterland ein „bedächtiges Wesen“ und sieht gemeinhin ein zähes „Beharren an altüberlieferten Gedanken und Meinungen.“ Auch heute noch sagt man den Münsterländern nach, stur und eher in sich gekehrt zu sein – vielleicht ist da ja wirklich etwas dran?

 

Henßen macht übrigens auch den Katholizismus im Münsterland mitverantwortlich. Er berichtet, er sei auch durch protestantische Gebiete gereist, um seine Sagen und Legenden zu sammeln, aber die Menschen seinen viel mehr „mit ihrem Erwerb“ beschäftigt gewesen als mit dem Geschichtenerzählen.

 

Im Ruhrgebiet hingegen hätten die Menschen schon allein aufgrund der harten Arbeit nur wenig Sinn für Überlieferungen. Die Frage ist ja dann auch, wessen Überlieferungen: Das Ruhrgebiet ist groß geworden durch den Zuzug von Arbeitern aus der ganzen Welt, die jeweils ihr eigenes Kulturgut mitbrachten.

 

Vielleicht liegt die Vielfalt des Sagengutes im Münsterland tatsächlich daran, dass dieser wirtschaftlich eher unbedeutende Landstrich erst im 20. Jahrhundert mit der Umstellung von kleinbäuerlicher auf industrielle Landwirtschaft die erste wirklich spürbare Änderung seit mehreren Jahrhunderten erlebte. Und es ist bestimmt kein Zufall, dass genau seit dieser Zeit – also etwa der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts – die Publikation von münsterländischen Sagen und Legenden zählbar abnimmt. Nicht zuletzt verdrängten seither Fernsehen, Telefon und Internet dem Brauch, abends vor dem Kamin in trauter Runde Geschichten zu erzählen.

Von Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Geister

Jede Region der Welt hat ihre eigenen Geister, Gespenster und Dämonen. Eine Klassifizierung ist schlichtweg aufgrund ihrer Vielfalt nicht möglich. Darum hat Katja Geschichten ausgewählt, die entweder für das Münsterland typisch sind und/oder deren Phänomene auch in anderen Gegenden sehr häufig auftreten. Dabei ging es Katja vor allem um düstere Phänomene, aber es gibt natürlich auch lustige oder mutmachende Sagen aus dem Münsterland.

Wenig schrecklich sind zum Beispiel die zahlreichen Sagen und Legenden rund um Heilige und ihr Wirken, von denen es im Münsterland unzählige gibt. Sie schildern Leben und Sterben von gottesfürchtigen Menschen oder berichten von göttlichen Zeichen und Wundern – mitunter gerne auch in Kombination mit geschichtlichen Ereignissen. Diese Überlieferungen wären Stoff für eigene Sagensammlungen rund um Heilige und kommen darum in "Von Geistern, Gespenstern und Gruselgestalten" nicht vor.

Gibt es typische Sagenwesen aus dem Münsterland?

Ja und Nein. Vieles, was für Sagen und Legenden im Münsterland typisch ist, findet sich auch in ganz Westeuropa. Feen und Elfen, die wir heute gerne mit alten Überlieferungen in Verbindung bringen, gehören allerdings nicht zum Personal der deutschen Sagenüberlieferung und damit auch nicht zu den Überlieferungen aus dem Münsterland. Traditionell sind sie auf den britischen Inseln und im romanischen Sprachraum heimisch. Erst über Märchen, die oft französisischen Ursprungs sind, und dann verstärkt seit der Romantik, haben einige Dichtende diese Figuren aufgegriffen und teilweise auch traditionelle Sagengestalten aus dem heimischen Raum mit ihnen verwoben. Darum gibt es heute vereinzelt Geschichten mit Feen und Elfen, die aber nicht älter als 250 Jahre sind.

 

Was sich allerdings sehr wohl seit Beginn der Überlieferungen im Münsterland findet, sind Riesen, Zwerge und Kobolde. Von den entsprechenden Geschichten sind jedoch nur sehr wenige in "Von Geistern, Gespenstern und Gruselgestalten" mit eingeflossen, da diese Wesen oftmals als friedfertig und freundlich geschildert werden und ihnen – zumindest im Münsterland – nichts Düsteres oder Schauerliches anhaftet.

Interessant ist vielleicht auch, dass es die Gabe des 2. Gesichts zwar überall entlang der Nordsee (und in Westfalen!) gibt, diese sehenden Menschen jedoch nur im Münsterland als "Spökenkieker" bezeichnet werden.